WDR2 - Die Kirche im Dorf lassen

Rheinischer Humor - auch in schweren Zeiten

Obwohl wir gerade mehr als schwere Zeiten hier in unserer Pfarrei haben, wollen wir als Rheinländer unseren Humor nicht verlieren! Wir sind dabei auf einen Beitrag des WDR gestoßen, der die Fusionitis aus rheinisch-humoristischer Sicht betrachtet. Aber hören sie selbst.

Geschichte eines Priesters - ein Märchen

Es war ein lauer Sommervormittag. Er saß am geöffneten Fenster des Pfarrhauses und sah auf die Felder, die sich in langen Wellen durch das Tal erstreckten. Das Pfarrhaus stand als letztes in einer Reihe des kleinen Straßendorfes, das in einem stillen Tal im Westen des großen Landes lag. Die fast schon voll gereiften Ähren wiegten sich in der sanften Brise und er dachte daran, wie er vor einigen Jahren zum ersten Mal an diesem Fenster gesessen hatte.

 

Damals war die Luft schneidend kalt gewesen, so kalt, wie er sie in seiner warmen Heimat im südlichen Asien noch nie gefühlt hatte. Fast hatte es den Anschein, als schneide sie ihm ins Gesicht, als nehme sie ihm die Luft zum Atmen. Damals hatte er sich gefürchtet vor dem, was auf ihn zukommen würde. Wie würden die Menschen ihn aufnehmen? Würde er als junger Priester von einer für ihn vollkommen fremden Pfarrgemeinde angenommen und akzeptiert werden? Wie würde er sich im Alltag zurecht finden mit seiner noch immer sehr gebrochenen Sprache?

 

Und dann hatte er eine große Überraschung erlebt: Es war kurz vor Weihnachten, als er nach Wettenbroich kam. Er hatte seinen Koffer noch nicht ausgepackt, da standen sie vor seiner Tür: Frauen mit selbst gebackenem Kuchen, Männer mit dem obligatorischen Wein; der Kirchenchor stimmte einen Choral an und als hätte der Himmel seine Pforten für ihn geöffnet, begann es an diesem kalten November-Nachmittag leise zu schneien.

 

Die Einführung in der kommenden Sonntagsmesse hätte für ihn nicht schöner sein können. Der Dechant, ein freundlicher Herr am Ende seiner Dienstzeit, der für die umliegenden Landgemeinden und auch für Wettenbroich verantwortlich war, führte ihn liebevoll in sein Amt ein. Die Predigt, die der Dechant hielt, würde er nie vergessen: Sie handelte vom verlorenen Schaf, das der Herr nicht alleine ließ, sondern auf mühevollem Weg auf seinen Schultern nach Hause trug. Ja, so habe sich der junge Pater sicherlich gefühlt, als er vor einigen Tagen angekommen sei: Verloren, einsam, unsicher. Aber die Menschen dieser Pfarrgemeinde hätten ihn aufgenommen in ihrer Mitte, genau so, wie der Herr es in der biblischen Geschichte getan habe. So seien sie alle Nachfolger in Christus. Für den jungen Pater war dies sein größtes Weihnachtsgeschenk.

 

So ging die Zeit dahin. Auf den strengen Winter folgte ein milder Frühling mit einem warmen, sonnigen Sommer. Fast hätte er glauben mögen, er sei in seiner Heimat in Asien, wo die Sonne immer schien und wo die Christen, dort eine kleine Minderheit, so fürsorglich miteinander umgingen. Nach einigen Jahren dachte er zum ersten Mal daran, ganz zu bleiben. Er sah die Not der Gemeinden des großen Landes, denen die Priester fehlten. Er spürte das Vertrauen der Menschen zu ihm und ihren Glauben. Er fühlte sich zunehmend als einer der Ihren und glaubte, seiner Kirche, die er so liebte, am besten dienen zu können, wenn er hier bliebe.

 

Als er damals von zu Hause weggegangen war, hatte er sein Theologiestudium mit Auszeichnung beendet. Der Bischof von Tugalore im Südwesten seines Heimatlandes in der Provinz Bangala hatte ihm persönlich gratuliert. Seine betagten Eltern waren unendlich stolz auf ihren Sohn, der den tiefen Glauben, den sie in ihrer großen Familie immer gelebt hatten, nun in die Welt tragen würde. Schon als Kind war ihm das Lernen leicht gefallen und so trug er sich bereits seit dem Ende seines Theologie- und Ingenieursstudiums mit dem Gedanken, seine Arbeit mit einer Promotion zu krönen.

 

Er hatte sich deshalb vor einigen Monaten an der Universität unweit der Bischofs­stadt, die eine gute Fahrstunde entfernt lag, um einen Promotions­studien­platz beworben. Die Fahrt von Wettenbroich dorthin würde er allerdings nicht täglich unternehmen können. Aber da seine ersten sechs Jahre in einer Gemeinde bald um sein würden, stand für ihn ohnehin ein Wechsel an. Er hatte alles sorgfältig geplant. Auf seinem letzten Heimaturlaub im Herbst des Vorjahres hatte er mit seinem Ordensoberen über seinen Herzenswunsch gesprochen. Nach kurzer Bedenkzeit sagte dieser zu, sein Vorhaben zu unterstützen. Dass der junge Pater in die Universitätsstadt würde umziehen müssen, war unausweichlich. Zu viel Zeit hätte er mit den Wegen von und zur Universität verbracht. Doch das Schönste für ihn war, dass sein Ordensoberer ihm auch zusicherte, einen Nachfolger aus dem Orden nach Wettenbroich zu entsenden. So musste er seine geliebte Gemeinde nicht im Stich lassen und alles war aufs Beste geregelt.

 

Nachdem die Universität ihm signalisiert hatte, er könne einen Promotionsplatz erhalten und auch ein Doktorvater gefunden war, sprach der junge Pater im Generalvikariat des Bistums vor. Ein freundlicher älterer Herr, der die ausländischen Priester in der Diözese betreute, hörte sich seinen Wunsch wohlwollend an. Schon beim Abschied sicherte er ihm zu, sich selbst um die Angelegenheit zu kümmern, in spätestens zwei Wochen werde er von ihm hören. Wie groß war die Freude, als er bereits nach drei Tagen den ersehnten Anruf erhielt, in dem ihm mitgeteilt wurde, er könne in acht Wochen eine halbe Stelle in der Universitätsstadt antreten. Das würde ihm erlauben, das Geld für seine Studien zu verdienen und ihm genügend Zeit lassen, sich intensiv seiner Promotion zu widmen.

 

Es schien alles perfekt zu sein und so saß er an diesem Sommertag am offenen Fenster und bereitete seine Abschiedspredigt vor, denn am kommenden Sonntag würde er zum letzten Mal die Messe in der Kirche zum Heiligen Nikolaus zelebrieren.

 

Unweit von Wettenbroich lag eine große Stadt, die zahlreiche Dekanate umfasste. Eines dieser Dekanate lag in Tugendreich und wurde von einem umtriebigen Priester geleitet, der innerhalb kurzer Zeit viele Dinge angestoßen und auf den Weg gebracht hatte. Er hatte sich für den Erhalt von Kindergärten eingesetzt, hatte viele Dinge in seiner Pfarrgemeinde initiiert, er war ein begnadeter Rhetoriker und er vermochte es, wenn er wollte, mit seiner charmanten und durchaus charismatischen Art, viele Menschen in seinen Bann zu ziehen.

 

Dennoch hatten sich in seiner Pfarrgemeinde zahlreiche Menschen von der Kirche abgewandt. Sie waren nicht laut gegangen, sondern leise. So war es niemandem aufgefallen, dass sie fehlten. Aber ihrer wurden es immer mehr. Sie waren enttäuscht darüber, dass sie mit ihren Anliegen von dem – wie er selbst glaubte – großen und zu Höherem berufenen Kirchenmann nicht ernst genommen wurden. Sie hatten erleben müssen, dass immer dann, wenn eine Idee nicht den Vorstellungen dieses Priesters entsprach, diese mit allen Mitteln zu Fall gebracht wurde. Sie hatten erlebt, dass neben der nach außen sichtbaren vermeintlichen Wärme eine schneidende Kälte das Denken und Handeln des charismatischen Priesters bestimmen konnte. Darüber hinaus vermissten die Menschen zunehmend ihre liebgewonnene Freiheit. Der charismatische Priester betonte zwar immer, dass nur dann, wenn alle einheitlich und in die gleiche Richtung gingen, die Kirche überleben könne. Doch wollten ihm das viele nicht mehr so recht glauben. Waren denn die anderen umliegenden Pfarrgemeinden so viel schlechter dran? War es ein großer Mangel, wenn eine Messe von einem ausländischen Priester zelebriert wurde, der nicht perfekt Deutsch sprach? War es denn notwendig, dass man zu ganz bestimmten Messen zu erscheinen hatte und nicht mehr die Freiheit genoss, selbst zu entscheiden, welche Messe für den persönlichen Glauben die Richtige sei?

 

Im vorhergehenden Jahr hatte sich denn auch ein Konflikt zugespitzt, der weit über die Stadtgrenzen hinaus im ganzen Land Beachtung fand. Der charismatische Priester wollte unbedingt die fünf an seine Pfarrgemeinde angrenzenden Gemeinden von Tugendreich in sein System eingliedern. Dem aber widersetzten sich die Gremien der anderen Kirchengemeinden und wiesen dieses Ansinnen zurück. Es entspann sich ein langer Streit, der von zahlreichen Demonstrationen aufgebrachter Gemeindemitglieder begleitet und in den auch das Bistum einbezogen war. Am Ende verließen die Priester aus einer dieser Gemeinden, die sich widersetzt hatten, nach langen Jahrzehnten ihren Heimatort und zogen in eine andere Gemeinde. Nun war die Not natürlich groß, denn die weggegangenen Priester konnten nicht durch andere ersetzt werden. Es herrschte ja Priestermangel!

 

Da kam der findige Charismatiker auf eine glanzvolle Idee: Als er in einer anderen Angelegenheit im Generalvikariat gewesen war, hatte er zufällig mitbekommen, dass der junge Pater aus Wettenbroich in die Universitätsstadt versetzt werden sollte. Daraufhin hatte er den Bischof angerufen und ihm seine Situation geschildert. Denn die Menschen in den Gemeinden, die er betreute, machten ihm den Weggang der Priester und den dadurch entstandenen Priestermangel, der dort eigentlich gar nicht existieren müsste, zunehmend zum Vorwurf. Daher, so seine Schlussfolgerung, wäre es doch prächtig, wenn er sich als der Retter der Gemeinden hinstellen und verkünden könnte, er habe dem Bistum in zähen Verhandlungen einen „neuen“ Priester abgerungen.

 

Von alledem ahnte der junge Pater nichts, als er an dem lauen Sommertag am Fenster saß. Und er ahnte davon auch noch nichts, als er am kommenden Sonntag seine Abschiedsmesse zelebrierte. Wie schön hatten „seine“ Wettenbroicher ihm diesen Tag gestaltet! Überall Fahnen und Blumenschmuck. Der Kirchenchor sang und die ganze Welt schien einzustimmen in den Jubel der Gemeinde: „Danke, lieber Pater, für viele Jahre treuen Dienst!“

 

Am folgenden Montag regnete es in Strömen. Es war kalt geworden in Wettenbroich. Nur noch 11 Grad zeigte das Quecksilber und schwere, graue Wolken trieb der Sturmwind in Fetzen über den Himmel. Das Heulen des Windes wurde immer wieder unterbrochen vom unheilvollen Donner, der auf die wild zuckenden Blitze folgte. Aber im Herzen des jungen Paters jubilierte noch der Chor vom Vortage und er machte sich bereit für seinen Umzug in die Universitätsstadt. Bloß die schriftliche Bestätigung der ihm bereits gegebenen Zusage aus dem Bistum fehlte noch, aber das war ja nur eine Formalie.

 

Als das Telefon klingelte und der junge Pater abnahm, meldete sich der freundliche Herr aus dem Generalvikariat. Er wolle doch Wettenbroich verlassen und der Bischof habe seinem Wunsch auch entsprochen, erklärte er ihm. Es sei nur eine kleine Änderung der bisherigen Planungen vorzunehmen gewesen. Da es akuten Priestermangel in Tugendreich gebe, werde er nicht in die Universitätsstadt versetzt, sondern nach Tugendreich. Als der junge Priester entgegnete, dann sei der Weg zur Universität ja genau so lang wie von Wettenbroich, dann hätte er gleich in Wettenbroich bleiben können, wurde der bisher so freundliche ältere Herr recht barsch: „Sie gehen nach Tugendreich und damit Basta. Andernfalls können Sie gleich nach Hause in Ihr Heimatland verschwinden!“ Auf sein „Basta“ war der ältere Herr besonders stolz. Das hatte er sich von einem Politiker abgeschaut, den er insgeheim sehr bewunderte. Und immer, wenn er konnte, nutzte er sein „Basta“. Das klang klar. Das war deutlich. Keine Diskussion!

 

Der junge Pater sank auf seinem Stuhl zusammen. Er vermochte gar nicht zu begreifen, was ihm da widerfahren war. So etwas hatte er noch nie erlebt. In dem Land, aus dem er kam, gingen die Menschen nicht so miteinander um, schon gar nicht die Christen. In seinem Orden hatte er gelernt, dass Respekt vor dem Anderen Ausdruck des Respekts vor Gott sei, dessen Ebenbild der Mensch nach der Lehre der Bibel ist. Galt das alles nichts in diesem Lande hier? War das alles nur Gerede? Oder war das die Art, wie der Bischof und sein Generalvikariat mit den Priestern immer umgingen? – Die Fragen kreisten in seinem Kopf, ein wirres Karussell. Gedankenfetzen, wie die Wolken draußen am Himmel. Lange Zeit vermochte er keinen klaren Gedanken zu fassen.

 

Als er sich wieder gefangen hatte, rief er seinen Ordensoberen an. Dieser wollte ihm die Geschichte erst gar nicht glauben. Doch schließlich überzeugte er sich und rief selbst im Generalvikariat an. Auch er erhielt die gleiche barsche Antwort. Und auch sein Hinweis, dann könne er guten Gewissens keinen seiner Männer mehr hierher schicken, stieß auf taube Ohren: „Wenn das so ist, dann ist das eben so. Wir kommen auch ohne Sie und Ihren Orden zurecht!“ herrschte ihn der Herr aus dem Generalvikariat an. „Basta!“

 

Und da geschah etwas, das hatte der greise Bischof mitsamt seinem Generalvikariat noch nie erlebt: Der Ordensobere meldete sich einen Tag später und erklärte ihm, dass sein Mitbruder, der junge Pater, umgehend in sein Heimatland zurückkehren werde. Weitere Patres werde der Orden in dieses Bistum auch nicht mehr entsenden und mit Sicherheit müsse er auf der nächsten Versammlung der Orden in seinem Heimatland dieses Thema besprechen.

 

Wie freute sich jedoch die Familie des jungen Priesters! Wie freuten sich die Menschen in seiner Heimat über seine Rückkehr! Und im Stillen dachte sich der junge Pater. „Wenn Gott mich an diesen Platz stellt, dann ist es gut so!“ Mittlerweile hat er einen Studienplatz an der nahe gelegenen Universität. Er hält dort bereits Vorlesungen und arbeitet fleißig an seiner Promotion. Die will er dann „seinen“ Wettenbroichern widmen.

 

Die Sache mit dem jungen Priester hatte sich in Wettenbroich in Windeseile herumgesprochen. Es bedurfte keines Internets, so schnell ging die Kunde durch die Gemeinde. Traurig und betrübt waren die Wettenbroicher über so viel kalte Ignoranz, die sich im Handeln des Bistums offenbart hatte. Mittlerweile haben sich auch in Wettenbroich, bisher einem Hort der Kirche, viele Menschen von dieser abgewandt. Resigniert, irritiert und auch wütend. Wie kann man so mit Menschen umgehen? Wieso lässt ein Bischof so etwas überhaupt zu? Ist die Bibel in der Bistumsleitung nicht bekannt? Die Bergpredigt? Die vielen Gleichnisse, in denen der Stifter dieser Religion zu Frieden und Mitmenschlichkeit aufgerufen hatte?

 

In der hastig herausgegebenen Presseerklärung des Bistums konnte man lesen, dass es sich bei der ganzen Angelegenheit um ein bedauerliches Missverständnis gehandelt habe. Wahrscheinlich habe der Pater alles nicht richtig verstanden. Das war nicht das erste Mal, dass die Wettenbroicher und die Menschen in Tugendreich sowie im Bistum eine solche Erklärung lesen mussten. Derlei Vorfälle waren an der Tagesordnung. Und obwohl die Gläubigen sich langsam daran gewöhnt haben müssten, erregte jeder neue Fall immer noch Unmut und Zorn.

 

Der Bischof konnte die ganze Aufregung gar nicht verstehen. Handelte er nicht als Stellvertreter des Gottes auf dieser Erde, den seine Kirche verkündete? War damit sein Wort nicht Wahrheit und das, was seine Zentralverwaltung tat, in jedem Falle Recht? Er hatte immer gedacht, der Mensch habe seinen freien Willen von diesem Gott nur bekommen, um sich damit unterzuordnen, um die göttliche Ordnung, als deren höchster Repräsentant in diesem Bistum er sich fühlte, vorbehaltlos anzuerkennen. Dass die Gläubigen in seinem Kirchensprengel die Dinge offensichtlich ganz anders sahen und wahrnahmen, vermochte er nicht zu begreifen.

 

Und Tugendreich? Dort wartet der charismatische Priester immer noch händeringend auf weitere Priester. Der schöne Plan, das Chaos, das auch aufgrund seines Handelns entstanden war, zu vertuschen, war nicht aufgegangen. Aber welcher Priester möchte dort noch Dienst tun?

 

 

Diese Geschichte ist frei erfunden, insbesondere sämtliche Personen und Handlungen, Dialoge, Abläufe und Zusammenhänge. Mögliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Die Firma

Stellen Sie sich ein Unternehmen vor, nennen wir es ER-BI-KÖ, das seit Menschengedenken und über ungezählte Generationen hinweg erfolgreich am Markt positioniert ist. Seine einzigartigen Dienstleistungen erfreuen sich starker Nachfrage – von gelegentlichen Wachstumsdellen mal abgesehen. Alles läuft wie von selbst, die Ertragsseite ist dauerhaft gesichert; sorgt doch ein bequemer Einzugsmechanismus für regelmäßigen Zufluss frischer Liquidität.

Aber eines Tages zeigen sich, erst punktuell und dann an immer mehr Stellen der glänzenden Firmenfassade, Risse. Der greise Firmenchef der ER-BI-KÖ, ein Patriarch wie er im Buche steht, greift mit harter Hand durch, verordnet Sparprogramme und Organisationsreformen, die seine Untergebenen umzusetzen haben, während er sich darin gefällt, in Sonntagsreden gesellschaftliche Missstände anzuprangern.

 

Viele Zweigstellen und Filialen von ER-BI-KÖ sind inzwischen personell verwaist, weil die Mitarbeiterschaft überaltert, krankheitsanfällig oder durch das Aufbürden von Zusatzaufgaben bis an die körperlichen Grenzen überlastet ist. Die Betreuung der Kunden leidet darunter und die Dienstleistungen werden immer weniger nachgefragt. Da der Firmenchef von ER-BI-KÖ unbeirrt am unattraktiven Anforderungsprofil für seine Mitarbeiter festhält und ein striktes Auswahlkriterium für unantastbar erklärt, das von vornherein 50 Prozent aller möglichen Bewerbungen ausschließt, können immer weniger Stellen mit Nachwuchskräften besetzt werden.

 

Eine Zeit lang helfen Modelle der Beteiligung von Kunden und freiwilligen Ehrenamtlern über die Probleme hinweg. Da diesem Personenkreis jedoch Mitbestimmungsrechte –wie sie längst in anderen Unternehmen üblich und bewährt sind- verwehrt werden, stellen sie ihr Engagement meist nach kurzer Zeit frustriert wieder ein. In einem nächsten Schritt lädt der Chef ausländische Mitarbeiter aus Partnerunternehmen des weltumspannenden Gesamtkonzerns ein, die freigewordnen Stellen zu besetzen. Freundliche und gut ausgebildete Menschen, die auf die Kunden zugehen und trotz mancher Sprachprobleme sehr schnell gute Kontakte zu den Kunden aufbauen. Die Filialen füllen sich wieder mit Kunden und Interessenten. Doch auch diese Maßnahme wirkt nur wie der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein.

 

Das Unternehmen muss einen verheerenden Imageschaden verkraften, als der Öffentlichkeit bekannt wird, dass Mitarbeiter und Führungskräfte in eklatanter Weise gegen die eigenen moralischen Grundwerte der Firma verstoßen haben. Das Vertrauen der Kunden ist tief erschüttert, umso mehr als offenkundig wird, dass die Führungsetage von den Verfehlungen wusste und sie zu vertuschen suchte. Das Management muss, um noch Schlimmeres zu verhindern, personelle Konsequenzen ziehen, was zu weiteren Problemen führt. Der Mangel wird so groß, dass das Personal immer öfter und immer kurzfristiger versetzt wird, um wenigstens die größten Löcher zu stopfen.

Es verwunderte außerhalb der ER-BI-KÖ niemanden, dass der Firma die Kunden in Scharen davon laufen. Wäre sie als AG aufgestellt, der Verfall des Börsenkurses wäre unaufhaltsam, eine Abwertung des Ratings nicht zu vermeiden.

 

Der weiterhin autoritär agierende Firmenchef von ER-BI-KÖ lässt auch in dieser desaströsen Situation keine Kritik zu. Auch gegenüber guter Beratung zeigt er sich resistent. Wer sich zu Wort meldet, wird im besten Fall nur abgekanzelt, Wiederholungstäter müssen allerdings mit härteren Konsequenzen leben. Das führt dazu, dass die Zweigstellenleiter - ebenso wie die Kunden - beginnen, sich in kleinen Zirkeln außerhalb des Unternehmens zu organisieren. Die Kunden entdecken, dass man die Dienstleistungen auch woanders bekommt. Manche stellen fest, das der Markenkern von ER-BI-KÖ, auf den die Firma glaubte, ein Monopol mit Ewigkeitsgarantie zu haben, auch ohne das Unternehmen erhältlich ist.

Noch ist der Patriarch in der Lage, durch ein autoritäres, auf absoluten Gehorsam aufgebautes Regime, seine Mitarbeiter und einzelne Kundengruppen zu disziplinieren, aber die Zeichen stehen auf Sturm. Der Druck im Kessel wächst, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann sich die Ventile öffnen, wann die Dämme brechen und die Kunden die Zahlung ihrer Beiträge einstellen.

 

Szenarien, dass plötzlich montags abends Menschen mit Kerzen in der Hand um die Zweigstellen ziehen oder zur Firmenzentrale von ER-BI-KÖ reisen und laut skandieren: „Wir sind das Volk", erscheinen zunehmend realistisch. Alles schon mal da gewesen! Und auf diese Weise sind nicht nur Unternehmen, sondern auch ganze Staaten hinweg gefegt worden. Warum soll das nicht auch für ER-BI-KÖ gelten?

Aber soweit ist ja noch lange nicht, da ist sich der Firmenpatriarch sicher. Er gefällt sich weiterhin in der Rolle des Feudalherren, der in seiner Firma alleine regiert und das immer weniger werdende Personal nach Gutsherrenart wie Schachfiguren hin und her schiebt. Kundenbindung durch personelle Kontinuität, ein Fremdwort! Die Kommunikation - eine Einbahnstraße und in der Krise erst recht eine einzige Katastrophe. Die firmeneigenen Medien sind gleichgeschaltet. Kundeninformation erfolgt nur im Einzelfall und wie in vorindustriellen Zeiten, als Herolde Bekanntmachungen verlasen. Nicht nur die Art des Kommunikationskanals mutet steinzeitlich an, die Inhalte verhallen zunehmend ungehört, denn sie haben mit der Realität nichts mehr zu tun, wenn sie nicht gar die Wahrheit verdrehen.

 

Selbst als in der ER-BI-KÖ – Zentrale an einem ihrer firmenintern mit großem Aufwand zelebrierten Festtage ein schweres Bauteil aus großer Höhe donnernd zu Boden stürzte, ignorierten die Verantwortlichen das Zeichen einer höheren Macht, auf die sie bisher alle ihre Entscheidungen im letzten zurückgeführt hatte. Sie verniedlichen es mit dem Begriff „Materialermüdung".

Der Patriarch und seine Berater bemerken in ihrem Wolkenkuckucksheim nicht, wie sehr sie mit dieser Wortwahl eine kurze, knappe und zutreffende Zustands-Beschreibung des Unternehmens ER-BI-KÖ abgeliefert haben.

 

Die jüngere und ältere Geschichte ist voll von Beispielen für den Niedergang von Patriarchen, totalitären Regenten und eingebildeten Feudalherren. ER-BI-KÖ und sein Chef könnten bald dazu gehören.

 

Wilhelm Wester

Die Hirten am Ennert

Ein rheinisch-katholisches Märchen

von Peter Becker

 

Es war einmal auf der Bonner Gemarkung im Flur von Holzlar ein guter Hirte, der viele Jahre lang seine Herde treu und fürsorglich leitete. Die Herde dankte es ihm durch freudiges Mittun und einem starken Gemeinschaftssinn. Besonders die Lämmer und die Jungschafe brachten sich hier sehr positiv in die Herde ein. Als der gute Hirte sein Ende nahen fühlte, wählte er einen jüngeren Hirten zu seinem Nachfolger und übergab ihm die Herde. So starb er in der Hoffnung, seine Herde in guten Händen zu wissen. Die Herde trauerte sehr um ihren Hirten, fühlte sich aber geborgen und beschützt durch den neuen Hirten, der sich auch in seiner Arbeit als gut und fürsorglich erwies.

 

Auf der anderen Seite des Rheines gab es einen Oberhirten, der vom Herrn mit Schönheit und weltlicher Gewandtheit ausgestattet war. Dieser wurde von seinem Erzhirten sehr geschätzt, da er in der ganzen rheinischen Hirtenrunde die beste und größte Menge an Wolle ablieferte. Dieser Oberhirte versprach dem Erzhirten, in Zukunft noch mehr Wolle abliefern zu können, wenn man denn seine Weiden vergrößern würde. Er schlug vor, dazu ein kleines Grüppchen von schwachen Hirten zu vertreiben. Solches hörte der Erzhirte mit großer Freude und stimmte diesem Plan zu, konnte er sich doch so die kalten Winterabende mit dem Mehr an Wolle erwärmen.

 

Da die betroffene Herde sich aber nicht mit der Vertreibung ihrer Hirten abfinden wollte, wurde sie vom Erzhirten mit dem Versprechen gelockt, ihre vertriebenen Hirten durch den guten Hirten vom Ennert zu ersetzen. Der Ennertherde versprach man aber, ihren guten Hirten durch eine ganze Hirtenschar zu ersetzen. Das würde die Zukunft viel schöner und sicherer gestalten. Die dumme Herde zeigte sich aber sehr uneinsichtig und bockte, um ihren guten Hirten auch weiterhin behalten zu dürfen.

 

Einige schwarze Schafe, besonders aber die Gruppe der Jungschafe erkannte plötzlich, dass es der Führung der Hirten weniger um die Liebe zum Herrn und dem Schutz vor dem Wolf ging, als darum, sie regelmäßig und radikal zu scheren. Als sie dies dann auch noch öffentlich anklagten, zeigte sich der Erzhirte über soviel Undank erbost. Er brach dem guten Hirten vom Ennert das standhafte Kreuz mit der vollen Macht seines Hirtenstabes und schickte ihn in demütig gebückter Haltung auf die andere Rheinseite.

 

Da der Erzhirte leider nicht wie in den Jahrhunderten vorher seine Hunde aussenden konnte, um die schwarzen Schafe der Ennertherde zu eliminieren, schickte er die Weisung an alle Hirten und Herden, den Herdenfrieden zu wahren und schnell alles Ungemach zu vergessen und zu vergeben, dann werde ihnen vielleicht auch vergeben. Die wenigen schwarzen Schafe, sowie die vielen Jungschafe, die sich ob solcher Weisungen empörten und von der Ennertherde trennten, störten dabei den Erzhirten nicht, da ihm ja sein Oberhirte von der rechten Rheinseite viel mehr Ersatz bei der Wollabgabe versprochen hatte.

   

Auch die Schauergeschichten von den bösen Wölfen und vom Herrn, der einmal kommen werde, um bei den Hirten Rechenschaft über die verlorenen Schafe einzufordern, störten die Ober- und Erzhirten nicht sehr, da sie sich selbst als Herren ansahen und ihre Vorgänger ja diese Schauermärchen in die Welt gesetzt hatten, damit die Herde auch freiwillig im Gatter blieb.

Da ein Märchen gut enden muss, Schafe sowieso dumm sind und die Herde schnell Übles vergisst, lebten nun alle wieder friedlich und fröhlich bis ans Ende ihrer Tage.

  

Dumm nur, wenn am Ende dieser Tage nun wirklich entweder der böse Wolf oder der Herr auftaucht !